Hinter jeder Kunst steht der zwischen Himmel und Erde leidende Mensch, aber auch der Betätiger des Daseins. In dem großartigen und begnadeten Werk, Welt genannt, durchleben wir alle das Mysterium von Loslassen und Gebundensein, das Geheimnis der Freiheit des Daseins, die über unsere Welt hinausweist. Wir wandern über diese geheimnisvolle glühende Asche, die ihre Hitze durch alles hindurchschickt. Wir werden gewogen, während wir unsere eigene Geschichte erschaffen. Freiheit ist die Wiedererlangung des Himmels in uns, vor welchem wir weit weg geflohen sind. Und wir wissen, was jedermann weiß, bewusst oder unbewusst, ob wir in der Zeit, die uns gewährt wurde, die existierende Welt aufrecht erhalten haben mit unserem Opfer, oder durch unser unwürdiges Verhalten.
Es gibt keine Trennung von Welt und Kunst. Wenn Sprache und Musik zerfallen, zerfällt auch alles Übrige, und die Einheit von allem bedeutet die stumme Ikonostase. Manchmal offenbart sich das himmlische Licht, dann wird der Mensch rein und wunderschön, die Gemeinschaft wird gut und vereint – und die weltliche Macht ist dann erstaunt darüber. Und ein unhörbarer Akkord ertönt. Dieses Ereignis wird Freiheit genannt und die Freiheit kann in solchen Zeiten wirklich erlebt werden.
Im Zeichen der Freiheit zu leben ist ein Kampf. Das ist der Hintergrund für die beiden Kompositionen auf dieser Platte – Musik einer sakralen Inspiration. Der Ort ist das Herz Europas – die Zeit die 2te Hälfte des 20 Jahrhunderts – ihre Welt, ist die Heimatlosigkeit der Willkür und Ihre Hoffnung: die unumstößliche Wahrheit. Die Wesensart von Kunst ist es Geschichten zu erzählen – um der Seelen willen – über die Bedingtheit der Seele.
Die Revolution und der Freiheitskampf von 1956 haben meines Wissens keinen Komponisten inspiriert. „Die geheime Geschichte der Ereignisse“ wurde 1983 geschaffen, auf Grund meines improvisatorischen Stils auf der Basis meines eigenen Textes.
In der Zeit des Kommunismus, als die Aussage der Wahrheit und die Ehre der menschlichen Seele völlig unmöglich wurde, und der Kult der Wertlosigkeit und der Gewalt staatlich aufrechterhalten war, versuchte diese Musik trotzend die Geschichte des Zerschmetterns der menschlichen Freiheit im Jahr 1956 – durch die expressive Deklamation eines rätselhaften Textes als eine im 20. Jahrhundert heraufbeschworene Inkarnation der epischen Lieder der Renaissance – zu erzählen. Verboten und doch darüber berichtend, dass in der Welt, die menschliche Ehre auch damals existierte. Das ist der Grund und die musikalische Funktion des präparierten, manipulierten („verbotenen“) Klavierklangs und des – wegen der offen nicht erzählbaren Geschichte – und des ähnlich „präparierten“ Librettos, in einer Meta-Sprache die Geschichte zu erzählen, die nicht öffentlich erzählt werden konnte, begleitet von den Herztönen der hölzernen Blasinstrumente die durch Zeit und Raum tönen.
Das Werk wurde nur dreimal aufgeführt, erst 1984, 1986 und 1996. Unter dem Eindruck der historischen Wende von 1990 habe ich die zwei letzten Verse des Librettos nochmals rück-übersetzt aus der Meta-Sprache in die aktuelle Sprache. All die anderen musikalischen Lösungen, auch die Improvisativität, habe ich getreu der Kafka’schen Rätselhaftigkeit unserer Zeitalters aus stilistischen Gründen – unberührt belassen. Die Aufführung von 1996, die wir hier auf der Platte hören ist gekennzeichnet durch die einzigartige Sangeskunst von Tamás Kobzos Kiss, und den reiche, gefühlvolle, mit Seele durchwobene Bekenntnis von Mihály Dresch Dudás und Zsolt Vaskó.
Die Musik mit vier Sätzen der In Hirsche verwandelten Söhne ist eine innere Geschichte gemäß ihrer Inspiration. Es ist das Drama und die Auflösung der Beziehung zwischen Mutter und Sohn, Gemeinschaft und Individuum, zwischen verlassenem Eden und auf sich gestelltem Menschen. Weil in uns seit dem Anfang die Erinnerung an das weiterlebt, was wir vor unserer Geburt gekannt haben: die Idylle und der Himmel, die uns geschickt haben und die uns Hoffnung senden. Dies gibt uns Sinn und Kraft, damit wir unser Freiheit-Schicksal erleben, den Berg der Unvollkommenheit überwindend.
Iván Markó hat die Musik für das Győri Ballett 1983* bestellt und das Ballett wurde 1984* während der Freilichtspiele in Szeged uraufgeführt. Das Tanzdrama wurde komponiert und choreographiert speziell für das hervorragende MAKUZ Orchester. In Markó’s Konzept und mit meinem vollen Einverständnis wurde die Vorführung zur Apotheose der Revolution von 1956 – zur nicht geringen Bestürzung der Zensur. Daraufhin wurde es dann für Jahre verboten. Die Verherrlichung kommt in der Schlussszene, als die niedergemetzelten Söhne, welche einen Heldentod starben, in die Geist-Arme ihrer Mutter zurückkehrend, zu glückseligen himmlischen Hirsche werden – Genugtuung verschaffend dem heiligen Geist von 1956 und mir.
György Szabados (1999)
Übersetzung Marianne Tharan (Januar 2016)
* Das Ballett wurde 1984 bestellt und 1985 uraufgeführt