der komplette Artikel [In: Jazz Podium 1995/3]
Der folkloristische Klang schimmert vereinzelt auch in der Musik von György Szabados durch, steht hier allerdings nicht im Mittelpunkt. An der Interpretation seiner großformatigen Suite „Homoki Zene” (Sandmusik) ist die Elite der aktuellen ungarischen Jazzszene beteiligt, darunter auch Mihály Dresch Dudás. Die Untertitel von Szabados’ Kompositionen sagen viel über seine Einflüsse aus: Da finden wir eine Hommage an Strawinski genauso wie eine an Lutoslawski, an Bartók, an Schostakovitsch. Szabados’ Plattentext bezieht sich darüber hinaus ganz konkret auf die ungarische Landschaft, die „Liebe zur Puszta, die Haltung des Herzens”. Eine Charakterisierung seiner Musik wird viele Elemente herausstreichen müssen, von denen hier nur einige genannt seien: die exzellenten Soli beispielsweise (man höre den Altsaxophonisten Grencsó István in „Götter auf dem großen Horobagy”), ein unbegleitetes Bläserensemble mit viel kollektiver Improvisation und hymnischen Chorpassagen im Strawinski gewidmeten „Mohnblumen”, das minimalistisch auf einem changierenden Klangbild aufgebaute „Fata Morgana”, das durchgängig aus durchsichtig-knappen Akzenten bestehende Arrangement „Weidende Pferde”, ein frei-swingendes Kontrabaß-Feature „Toter Vogel”. Szabados’ Musik ist Hör-Musik im besten Sinne des Wortes. Sie ist zugleich ein Beispiel für meisterhafte musikalische Integration – Komposition und Improvisation, Folklore und Jazz. Die improvisierte Musik und der Jazz Ungarns haben viele Gesichter. Vor allem in den Momenten, in denen ungarische Musiker – wie offen oder versteckt auch immer – auf Kompositions wie Spieltraditionen ihrer Heimat zurückgreifen, ist das Ergebnis ein überaus individuelles, ein Beispiel, daß der Einfluß nationaler Traditionen auf den Jazz nicht nur zu manierierten, sondern zu äußerst überzeugenden Resultaten führen kann.
Wolfram Knauer
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György Ligeti – Postkarte vom 18.April 1995 zu György Szabados CD: “Sands Music / Homoki Zene”:
Auszug aus:
Hubert Bergmann Essay: “Klang eines verschwundenen Kontinuums – Zur Aktualität des Wirkens von György Szabados” (Zeichnungen: Zoltán Bicskei):
Kapitel: Homoki zene , eine spontan- auditive Wortnotation
während des Hörens im Wohnzimmer von Rudolf Kraus, langjähriger Freund Szabados’s und dem „Archivar“ von „The World of György Szabados“ am 27.3.2016 in Retzbach
(Skizzen unbearbeitet übernommen) […] Einfügung Nachhinein
…Die Alteration einer figurativen Filiation (hier metaphysisch verstanden), im engeren Sinne der transmittorische [von Transmission] Aspekt einer Entwicklungskette von Motivik, oder kontrapunktische und funktionsharmonische Fortsetzung durch ein jeweiliges kontinuierliches Eintauchen und Schöpfen aus dem der figurativen Welt vorgelagerten energetischen Sphäre, deren Verdichtung über die „Unterwanderung“ der vordergründig gewussten und geahnten Erinnerungsaspekte einer bekannten Form hinausreicht…. einerseits eintaucht, sich verbindet mit den Bedingungen kreativer Ausarbeitung im konkreten Sinn, andererseits die Negation dieser Ausarbeitung als Hindernis des Durchbruchs in die vorgewusste Welt zur Methode ausformt und somit die Musik generiert, die nicht ihre Ausarbeitung sondern die „Bedingtheit“ hierzu darstellt. Die Idee der Selbstkommentierung des Gewussten mit Vorbewusstem, oder auch mit originären Inhalten.
Dass diese Musikpraxis eine Öffnung hin zum Unbekannten mit all seiner Heimlich- und Unheimlichkeit fordert, eine Kapazität, die den „Fehler“ als wesentliches Element einer „besseren“ Daseinskraft oder überhaupt von Struktur und Gestaltbildung betrachtet, ist Herausforderung und Prämisse in einem Ensemble, welches im Tonsprachlichen nach den etymologischen „Bedingungen“ forscht, mit dem es die Sphäre des authentischen betritt. Authentisch aber ist was „Fehler“ zulässt, diesen als wesentliche Reibungsfläche erkennt, um mit dieser Erkenntnis weiter zu arbeiten.
Vormusikalische Programmatik stört diesen Prozess nicht, hilft oder bedingt sogar den Unterbau zu formen, auf dem sich diese Musikpraxis entwickeln kann. Reduzierte Ereignishaftigkeit, als Sammlung hin zur Wahrnehmung von formbedingten Voraussetzungen. Multiple Themen und Energiestränge als meta kontrapunktische Ereignisreihungen, die ein spiegelndes Bewusstsein voraussetzen um den ästhetischen Imperativ zu evozieren.
Die Musik der Bordkapelle der Titanic ist ein aus der Not geborenes kontinuierliches Agens mit Aussicht sowohl auf Finalität als auch Hoffnung auf eine Alternative. Wir haben keine Zeit mehr im Zustand des Sinkens der Bedeutung unserer formbildenden Kräfte allzu lange nachzuhängen. Schließlich verstimmte dann das letzte Mittel, das musikalische Gebet an eine imaginäre Kraft, das Opfer, dass das [Hinabziehende] doch noch in einen Aufstieg verwandelte. Daraus zu schließen, dass die Musik der letzten Stunde ein Notbehelf sei, geht genauso fehl, wie in sie eine Kunst der Transmutation zu implizieren. [Wenn nicht als auf dem sinkenden Schiff, wurde Improvisation zum existentiellen Begriff.]
Die Stasis als unvermeidliche Hingabe an Kommendes, dessen Unabwendbarkeit nicht mehr als Tragik, aber als Wendung vorbereitet wird, aus der möglicherweise neue impulsive kinetische Figuren aus dem gleichen Strom aufsteigen können.
Hubert Bergmann Essay: “Klang eines verschwundenen Kontinuums – Zur Aktualität des Wirkens von György Szabados” (Zeichnungen: Zoltán Bicskei)
online 2016, 16. Feb. Jazzzeitung.de
Ausschnitt aus CD Besprechnungsartikel: “Der Berliner Rudi Mahall und der Ungar István Grencsó veröffentlichten ihre CD »Marginal Music / Rétegzene«”:
Seit mehr als zwei Jahrzehnten mit eigenen Projekten eine individuelle Stimme im Jazz Ungarns, zeigt sich István Grencsó doch stark geprägt vom großen György Szabados und dessen Balance von freien Improvisationen, folkloreinspirierten Melodien und vorgegebenen Strukturen. Durch seine Mitwirkung im Ungarischen Königlichen Hoforchester (Magyár Királyi Udvari Zenekar – MAKUZ) hatte Grencsó Anteil an der Einspielung der von György Ligeti hochgelobten CD »Homoki Zene« (Sandmusik), eine der bedeutendsten – aber oder weil ungarischen – Freejazz-CD der Musikgeschichte überhaupt.
Matthias Bäumel
Auszug aus:
Interview zu György Szabados’s Webseite „The World of György Szabados“ mit dem Titel: Die Erfahrung der Zeitlosigkeit. – In Memoriam György Szabados
Gábor Turi sprach mit Rudolf Kraus, Webmaster der Seite: „The World of György Szabados” – Dezember 2016/ Januar 2017
Besonders die CD „Sands Music“ ist für mich eines der drei Werke, welche sich im Reisegepäck für die berühmte einsame Insel finden würde. Ein Fenster in die Zukunft auf dem Fundament älterer Meister.
Download des gesamten Interviews
His CD “Sands Music” is for me one of the three works which I should put in my suitcase when leaving for the famous “lonely island”. It is a window opening to the future; a music on the foundation of old masters.
Download of the entire Interview
Jazz und Jazz-Verwandtes aus Ungarn, Artikel von Wolfram Knauer aus dem Jazzpodium, März 1995:
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